Investmentlösungen

Selbstüberlistung in Zeiten boomender Aktienmärkte

Ein Artikel von DR. HANS-JÖRG NAUMER

Boom-Märkte nähren verhaltensökonomische Fehler und blenden Risiken aus. Deshalb finden Sie hier eine kleine Anleitung zur Selbstüberlistung.

Um es vorwegzusagen: Zu Einzelaktien habe ich keine Meinung und keine Expertise. Wenn ich also über die „Volksaktie“ schreibe, dann nur aus rein verhaltensökonomischer Sicht – und das juckt mir dann schon in den Fingern. Denn dieser Tage stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer äußerst interessanten Studie fest, dass die „Volksaktie“ bis heute nachwirkt. Konkret heißt es da: „60 Prozent der Haushalte, die die Ereignisse um die Volksaktie miterlebt haben, investieren auch 20 Jahre später nicht mehr in Aktien“. Das ist mindestens genauso traurig wie jene Anleger, die mich auch heute noch fragen, ob sie denn aus dieser Aktie aussteigen – oder auf den Einstandswert warten sollen.

Wenn ich dann von der aktuell neuen Aktienbegeisterung lese, beschleichen mich gemischte Gefühle. Zum einen sind Millionen neuer Aktieninvestoren ein großer Grund zur Freude. Zum anderen: Was machen die neuen Aktionäre, wenn es an den Märkten mal wieder nach unten geht? Denn gerade in Aufwärtsphasen sind viele Verhaltensanomalien zu beobachten. Da wäre die „Das haben wir doch kommen sehen“-Haltung, die uns aus Vergangenheits-Performance vermeintliche zukünftige Entwicklungen ablesen lässt. Dazu kommt die zunehmende Risikofreude. Der Erfolg nährt nicht unbedingt den Erfolg, aber blendet Risiken aus. Nicht zu vergessen: Kontrollillusion und Selbstüberschätzung. „Ich weiß, wie es geht. Ich kann das.“ Schließlich der klassische Truthahn-Effekt, der Glaube an die Einbahnstraße: Ein Truthahn prognostiziert, dass er jeden Tag aufs Neue gefüttert wird – Thanksgiving kommt in seiner Erfahrungswelt nicht vor.

Wie also Anlagefehler vermeiden, wenn es in den Fingern kribbelt? Hier acht Punkte zur Selbstüberlistung:

  1. „Gedenke, du bist nur ein Mensch.“ – Demut ist der Anfang der Selbsterkenntnis. Niemand kontrolliert die Kapitalmärkte. Gute Performance ist harte Arbeit – oder eben hartes Arbeiten lassen seiner Fondsmanager.
  2. Je größer der Bildschirm, desto besser. Aus der Forschung ist bekannt, dass mit zunehmender Größe der Bildschirme überlegter gehandelt wird, als wenn man nur auf sein Smartphone starrt, um dann auf den Kauf-/Verkaufsknopf zu drücken. Noch dazu, wenn der Trade ganz billig und die Tendenz zu Gamification unübersehbar ist.
  3. Auf die Marktkapitalisierung achten. Je geringer die Marktkapitalisierung, desto schneller können Aktien z.B. über Anlegerportale in die Höhe getrieben werden. Dabei gilt: „Die Letzten beißen die Hunde.“ Denn heiße Luft ist schneller wieder draußen als drinnen.
  4. Nicht „framen“. Keinen Rahmen um die gewünschten Nachrichten ziehen. Einen Advocatus Diaboli hinzuziehen, der Mut zum Widerspruch hat.
  5. Nichts überstürzen. Langsamer zu laufen, wenn alles vermeintlich schnell gehen muss, ist auch bei der Kapitalanlage ein guter Rat. Zeit fördert die Analyse, das Nachdenken.
  6. Pferde wechseln, wenn ein Trade nicht aufgegangen ist. Das ist auch die Lehre der Volksaktie. Aussitzen kann lange dauern und wehtun. Von ihrem tiefsten Punkt am 14.03.2003 aus hat sich die Volksaktie seither etwas mehr als vervierfacht, Dividenden einbezogen. Wer hingegen auf den DAX umsattelte, hat mehr als das Sechsfache aus seinem Geld gemacht.
  7. Diversifizieren! Das ist und bleibt die einzige, wirklich kostenlose Möglichkeit, Risiken zu minimieren, ohne auf Ertragschancen zu verzichten.
  8. Und immer beachten: Der nächste Absturz kommt bestimmt, und Ihr Anlagehorizont ist noch lang. Deshalb: Der langfristige Kapitalaufbau, die Struktur der Anlage sind wichtiger als der schnelle Euro. Und gut beraten haben Sie vermutlich auch länger Freude daran.

Über den Autor:

Dr. Hans-Jörg Naumer, promovierter Volkswirt, leitet Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors


Dies ist ein Artikel aus dem aktuellen FINANCIAL PLANNING Magazin. Hier geht es zur aktuellen Ausgabe: